Optimierung von Entwicklungssystemen
20/09/2015

Verschiedenste aktuelle Trends, wie die steigende Individualisierung, Vernetzung und Globalisierung resultieren in komplexer werdenden Produkten, Unternehmen und Prozessen. Wettbewerbsfähige und überlebensfähige Unternehmen können im Vergleich zu Konkurrenten diese Herausforderung besser handhaben, indem sie die Fähigkeit zeigen, sich entsprechend der wechselnden Anforderungen stets weiterzuentwickeln. Diese Optimierungsaufgabe wird mit komplexeren Produkten oder Prozessen auch immer herausfordernder, zumal oftmals gleichzeitig weitere widersprüchlich scheinende Ziele verfolgt werden, wie zum Beispiel die Reduktion der Ressourcen und Finanzmittel. Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Optimierung der F&E und liefert einen Ansatz, auch in Zukunft die steigenden Herausforderungen erfolgreich zu meistern.
Eine Analogie aus dem privaten Alltag verdeutlicht die Komplexität selbst scheinbar einfacher Optimierungsfragestellungen: Wer mit dem Auto unterwegs ist, trifft permanent Optimierungsentscheidungen – schnell ans Ziel kommen, Reichweite erhöhen, Verbrauch optimieren oder die Wegstrecke verkürzen (siehe Abbildung 1).
Ganz ähnlich ergeht es uns auch im beruflichen Alltag mit der Optimierung von Entwicklungssystemen. Auch hier haben wir uns ständig die Frage zu stellen, mit welcher Geschwindigkeit wir innovative Produkte auf den Markt bringen wollen und unter welchem Ressourceneinsatz, also bei welchem „Verbrauch“, wir welchen Weg einschlagen müssen und wie gut unsere Entwicklungspipeline gefüllt sein muss. Anhand dieser einfachen Kennzahlen können Sie bereits selbst eine erste Einschätzung der eigenen Entwicklungsleistung treffen. Abhängig von der Branche und den Sektoren ergeben sich unterschiedliche Optimierungsziele, welche sich auf die spezifischen Unternehmensstrategien und Produktportfolios ausrichten. Wie bereits eingangs angedeutet sind die steigende Komplexität und die Effizienz branchenübergreifende Ziele und daher meistgenannt. Innovativität wie Wachstum der Innovationen sind vor allem bei schnelllebigen Produkten wie z. B. Mobilgeräten oder Laptops von großer Bedeutung. Die nachfolgende Abbildung zeigt die häufigsten Zielgrößen, die wir bei der Optimierung von Entwicklungssystemen kennengelernt haben.
Egal ob wir agile Entwicklungsmethodiken einführen, um schneller voranzukommen, durch Reifegradmodelle die Produktreife erhöhen oder eine Vorentwicklung etablieren, um innovativer zu sein – all diese Ansätze sind Lösungen einer Optimierungsaufgabe – der Suche nach einem auf die jeweilige Situation angepassten optimalen Setup einer Entwicklung. Fletcher (1987) definiert Optimierung wie folgt: „Optimization might be defined as the science of determining the ‚best‘ solutions to certain mathematically defined problems, which are often models of physical reality.” Das heißt, ein Optimum ist das beste Ergebnis gegenüber einer konkreten mathematischen Problemstellung, welche Modelle der Realität oft beinhalten. So auch bei den Modellen der Optimierung von Entwicklungssystemen. Beispiele für typische Nebeneffekte sind temporär erhöhter Ressourceneinsatz, Initial-Investment, Personalabgang, etc. Im Sinne der Zielerreichung gilt es daher, einen, den bestmöglichsten, Kompromiss einzugehen. Oder gibt es ein kompromissfreies Optimum, sozusagen ein Ideal?
Diese Fragestellung wird bei TRIZ (Theorie des erfinderischen Denkens von Altschuler) mit dem Idealitätsprinzip adressiert. Dabei wird Idealität folgendermaßen definiert:

Im Sinne dieser Definition ist also eine Lösung ideal, wenn die Summe aus „schädlichen Funktionen“ (=Nebenwirkungen) und den benötigten Ressourcen gegen Null geht, bei gleichzeitiger voller Erfüllung des erwarteten Nutzens. Schon aus rein mathematischer Sicht wird hier klar, dass das Ideal nie erreicht werden kann, sondern lediglich eine beliebige Annäherung an diesen Zustand. Auch bei TRIZ ist man sich der Tatsache bewusst. Die Vorstellung des idealen Systems wird vor allem dazu verwendet, um aus vorgegebenen Denkmustern auszubrechen.
Die Erfahrung zeigt zudem, dass bei der Optimierung von Entwicklungssystemen die „rule of ten“ und das Pareto Prinzip zuschlagen: Setzen wir eine eingehende Analyse der Problemstellung im Vorfeld voraus, so finden sich in der Regel erste mit wenig Aufwand verbundene Maßnahmen (sog. „low hanging fruits“), die für eine erhebliche Verbesserung des Systems sorgen. Wenn man darüber hinaus in die Verbesserung investiert, so steigen die dafür notwendigen Aufwände und auch die Störungen des Systems progressiv an. Der Nutzenzuwachs nimmt jedoch entgegengesetzt ab. Es macht also keinen Sinn, sich den maximal möglichen Werten von Entwicklungszielen zu weit anzunähern. Vielmehr muss es das Ziel sein, die maximale Idealität, den optimalen Betriebspunkt, anzustreben.
Dieser stellt sich als jener Punkt dar, bei dem das beste Aufwand-Nutzen-Verhältnis besteht. Der Kompromiss repräsentiert das Delta zum maximal möglichen Wert von Entwicklungszielen (Optimierung der Produktreife, Verkürzung der Entwicklungszeit, Reduktion der Entwicklungskosten, …) (siehe Abbildung 3).
Heißt das nun, dass wir uns nach Erreichen des optimalen Betriebspunktes unserer Organisation zurücklehnen können? Werfen wir dazu einen Blick auf die Theorie der disruptiven Innovation von Christensen (siehe Abbildung 4):
Eine disruptive Technologie ist eine Innovation, die eine bestehende Technologie, ein bestehendes Produkt oder eine bestehende Dienstleistung vollständig aus dem Markt verdrängt. Bekanntes Beispiel aus der Geschichte ist die Verdrängung der Schreibmaschine durch die Marktreife von Druckersystemen in Verbindung mit Textverarbeitungsprogrammen. Aktuell zeichnet sich eine ähnliche Veränderung durch die Etablierung von 3DDruckern im Bereich Rapid Prototyping und zunehmend auch in der Produktion von Kleinserien ab.
Das gleiche Phänomen zeigt sich auch bei Entwicklungssystemen. Auch deren Prozesse, Methoden und Organisationsformen haben so etwas wie einen „Lifecycle“. Ein Beispiel dafür geben die Generationen des R&D Managements im Laufe der letzten 60 Jahre in einer von Nobelius vorgeschlagenen Clusterung (siehe Abbildung 5).
Wenn wir also davon ausgehen, dass es auch im Bereich von Entwicklungssystemen disruptive Innovationen gibt, ergibt sich die Schlussfolgerung:
Spätestens mit dem Erreichen des optimalen Betriebspunktes eines Entwicklungsbereiches muss über eine radikale Veränderung derselben nachgedacht werden, um den nächsten notwendigen Hub bewerkstelligen zu können und wettbewerbsfähig zu bleiben. Erfolgversprechende Beispiele sind ein globales und verteiltes R&D, die Integration von Systemlieferanten und hybride Organisationsstrukturen.
Die Aufgabe einer Optimierung eines Entwicklungssystems ist nicht ohne Kompromisse lösbar. Es ist entscheidend, den optimalen Betriebspunkt zu finden. Dieser zeichnet sich durch das beste Aufwand-Nutzen-Verhältnis aus, um die gewünschten Zielgrößen zu erreichen. Es gibt jedoch kein stabiles Optimum, da sich die Rahmenbedingungen und Anforderungen permanent verändern. Daher ist eine kontinuierliche Optimierung erforderlich.
Das bringt uns zur wesentlichen Fragestellung:
Woher wissen wir, wo unsere Entwicklung steht, wo der optimale Betriebspunkt liegt und wie dieser erreicht wird?
Der optimale Betriebspunkt hängt dabei stark von den Optimierungszielen und -möglichkeiten des Entwicklungssystems ab. Diese sind abhängig von der Branche und den Unternehmensmerkmalen (z.B. Größe, Produktkomplexität, FuE Quote, Fremdleistungsanteil). Für ein Unternehmen mit hoher vertikaler Integration kann beispielsweise die Optimierung des Fremdleistungsanteils das Ziel sein, während ein Unternehmen mit langer Time-to-Market im PEP ggf. eher auf eine Optimierung der Entwicklungszeit abzielt. Für beide Ziele sind die Stellhebel jedoch sehr unterschiedlich. Sobald die Optimierungsziele festgelegt sind, muss daher die aktuelle Ist-Situation ggü. einer Referenz bestimmt werden, um die richtigen Ansatzpunkte für die Optimierung ableiten zu können. Die übergeordnete Fragestellung nach dem optimalen Entwicklungssystem untergliedert sich also in mehrere Teilfragen:
- Welcher Unternehmenstyp bin ich?
- Welche Zielgrößen will ich optimieren?
- Wo stehe ich aktuell bezüglich dieser Zielgrößen?
- Wo setze ich in welcher Reihenfolge an, um meine Ziele zu erreichen?
Für viele Unternehmen ist die eindeutige Beantwortung der ersten beiden Fragen oftmals schwierig. Die eigentliche Herausforderung stellt jedoch die dritte und vierte Frage. Um die Beantwortung dieser Fragen zu erleichtern, können folgende zwei Werkzeuge angewendet werden: ein „Reifegradmodell“ und ein „Wirkmodell“ (siehe Abbildung 6).
Das Reifegradmodell dient dazu, den Ist-Stand des Entwicklungssystems standardisiert gegenüber einer Vergleichsreferenz festzustellen. Um den Standort möglichst präzise zu bestimmen, untergliedert sich dieses Modell in Bereiche verschiedener Praktiken. Gütekriterien ermöglichen eine Einordnung dieser Praktiken in eine Reifestufe und geben somit die Antwort auf die Frage „In welchem Bereich bin ich wie gut?“. Ebenfalls bekannt sind die Inhalte der nächsten Reifestufen, welche es zu erklimmen gilt. Unklar ist jedoch, in welcher Reihenfolge die Praktiken weiterentwickelt werden müssen, um die spezifischen Optimierungsziele möglichst effizient zu erreichen. Hierfür wird das Wirkmodell benötigt.
Das Wirkmodell abstrahiert komplexe Entwicklungssysteme auf ihre wesentlichen Bestandteile sowie Erfolgs-/Einflussfaktoren und setzt diese in Abhängigkeit zueinander. Diese werden zudem mit den übergeordneten Zielen verknüpft. Damit liefert das Wirkmodell beim Ändern eines der Elemente zwei Erkenntnisse: den Einfluss auf andere Elemente und den Beitrag zum Optimierungsziel. Wendet man das Wirkmodell umgekehrt an, so ergeben sich mit der Definition des Optimierungsziels die Elemente, die darauf Einfluss haben. Darüber hinaus ergeben sich durch die abgebildeten Abhängigkeiten der Bestandteile und Einfluss-/Erfolgsfaktoren die entscheidenden Stellhebel zur jeweiligen Optimierungsaufgabe. Dies ermöglicht bei der Optimierung eine Fokussierung auf wenige kritische Bestandteile und Einfluss-/Erfolgsfaktoren als Stellhebel anstatt ein weniger wirksames Arbeiten in der Breite.
Um die beschriebenen Bewertungsmodelle aufbauen zu können, haben wir zu Beginn die relevanten Einflussfaktoren auf Entwicklungssysteme gesammelt (vgl. Abbildung 7). Zwei typische Einflussfaktoren auf effiziente Entwicklungssysteme sind zum Beispiel kritische Fachkompetenzen oder ein modularer Baukasten. Beide haben jedoch den Nachteil, dass diese nur sehr langfristig über viele Jahre aufgebaut werden können. Das zeigt, dass die Weiterentwicklung dieser beiden Stellhebel stark von den Optimierungszielen abhängt. Gleiches lässt sich auch auf andere Einflussfaktoren übertragen.
Jede Veränderung an einem Einflussfaktor in einem Entwicklungssystem beeinflusst jedoch andere Faktoren positiv oder negativ, ist also nicht wechselwirkungsfrei. Ein Eingriff in die Toolkette erzeugt beispielsweise auch einen Bedarf bei den Kompetenzen und im Bereich der Prozessdefinitionen. Ohne die richtigen Kompetenzen im Team und der jeweils optimalen Führung und Organisation lässt sich eine Entwicklung nicht optimieren. Verpassen wir es auf der anderen Seite, marktgerechte und kosteneffiziente Systeme durch Standardisierung, Baukästen und einer passenden Produktstruktur zu entwickeln, bringt uns eine reine Prozessoptimierung nicht weiter. Daher ist es entscheidend, die Abhängigkeiten bzw. Wechselwirkungen zwischen den Einflussfaktoren zu kennen. Methodisch eignet sich hierfür die Erstellung einer sog. Design Structure Matrix (DSM) (siehe hierzu Vester, 1980 und Steward, 1991).
Die DSM dient zur Erfassung, Modellierung und Analyse der Abhängigkeiten von Elementen in hochvernetzten Systemen. Typische Beispiele für solche Systeme sind komplexe hochintegrierte Produktarchitekturen, Aufbauorganisationen oder Prozesse. Mit Hilfe der DSM ist es somit möglich, diejenigen Elemente eines Systems zu identifizieren, welche zur Erreichung der Optimierungsziele als wesentliche Stellhebel und Indikatoren dienen. Dies erfolgt über die Expertenbewertung aller direkten Abhängigkeiten der Systemelemente und deren Einfluss auf die Optimierungsziele.
Um eine belastbare Aussage über die Abhängigkeiten der Einflussfaktoren und damit der Wechselwirkungen im Entwicklungssystem zu bekommen, muss ein geeigneter Detailierungsgrad für die Einflussfaktoren gewählt werden: Übergeordnete, aus vielen Einflussfaktoren zusammengesetzte Handlungsfelder wie Organisation, Prozesse, Innovation etc. lassen sich nicht direkt zueinander bewerten, ohne die vielschichtigen Beziehungen der einzelnen Einflussfaktoren untereinander zu betrachten.
Für die Modellierung dieser Abhängigkeiten in einem unternehmens- und branchenunabhängigen Wirkmodell müssen langjährige Erfahrungen bei der Optimierung von Entwicklungssystemen berücksichtigt werden. Die dabei getroffenen Annahmen und abgebildeten Abhängigkeiten müssen im Rahmen der umgesetzten Optimierungsmaßnahmen immer wieder validiert und bestätigt werden. Auf diese Art entsteht ein mit jeder Anwendung sich verbesserndes, sozusagen „lernendes“ Wirkmodell, das mit jeder Anwendung genauer und besser wird.
Das Wirkmodell beschreibt also die Auswirkungen der Veränderungen von einzelnen Einflussfaktoren und führt somit zur Identifikation der wesentlichen Stellhebel für das Erreichen von konkret formulierten Optimierungszielen (siehe Abbildung 8). Damit stellt sich die zentrale Frage: „Wo fange ich am besten an, um meine Ziele zu erreichen?“.
Ein Reifegradmodell dient im Gegensatz zum Wirkmodell dazu, die Reife eines Entwicklungssystems zu bestimmen. Dies erfolgt über die Bewertung der Reife der einzelnen Einflussfaktoren.
Die Reife wird bewertet, indem der Erfüllungsgrad jedes Einflussfaktors in dem betrachteten Entwicklungssystem anhand von Gütekriterien bewertet wird. Dies ermöglicht eine hohe Objektivität und Vergleichbarkeit der Bewertung. Zudem wird so eine relativ exakte Bestimmung der kritischen „gaps“ möglich, also der Abweichungen des Ist-Zustandes von einem Soll-oder Referenz-Zustand. In Verbindung mit dem Wirkmodell lassen sich ausgehend von den so identifizierten „gaps“ sinnvolle Schritte zur Erlangung des nächsten Reifegrades ableiten (siehe Abbildung 9).
Beispielsweise kann ein Multiprojektmanagement nur dann sinnvoll implementiert werden, wenn das Einzelprojektmanagement bereits im Unternehmen erfolgreich eingeführt wurde. Aus der Anwendung des Wirkmodells wird klar, dass es nicht erforderlich ist, alle Einflussfaktoren und deren Reife zu kennen, sondern nur die entscheidenden, die zur Erlangung der Optimierungsziele von Bedeutung sind. Ein hoher Optimierungshub stellt sich ein, wenn ein entscheidender Einflussfaktor bzw. Stellhebel mit hohem Potenzial (d.h. großem Gap zwischen Ist-Stand und Soll-Stand), deutlich verbessert wird. Mit dem Stellhebel „modularer Baukasten“ hat es Black & Decker beispielsweise in den frühen 70ern geschafft, derart effizient zu entwickeln und zu produzieren, dass zeitweise sämtliche Konkurrenz vom Markt verdrängt wurde. Das Reifegradmodell beantwortet somit die Frage: „Wo stehe ich aktuell bezüglich dieser Zielgrößen und der relevanten Einfluss-/Erfolgsfaktoren?“.
Um Wirkmodell und Reifegradmodell zutreffend auf ein Unternehmen anwenden zu können, ist eine Kalibrierung auf die spezifischen Rahmenbedingungen und Unternehmensmerkmale erforderlich. Die Kalibrierungsfunktion dient dazu, das Modell auf den konkreten Anwendungsfall anzupassen. Damit ermöglicht sie aus der Vielzahl an gegebenen Stellhebeln jene herauszufiltern, die relevant sind. Sie muss daher mindestens auf folgenden zwei Ebenen erfolgen:
- Zielgrößen und use cases (In welche Richtung soll optimiert werden?)
- Branche und Unternehmensmerkmale (Wie sieht das Umfeld aus?)
Erfahrungen aus bereits umgesetzten Optimierungsprojekten sind für die Ermittlung der maßgeschneiderten Vorgehensweise eine wertvolle Hilfestellung und fließen in die Einstellung der Kalibrierungsfunktionen ein. „Copy & paste“-Lösungen sind jedoch ungeeignet. Daher kann und muss eine Kalibrierungsfunktion immer auf den einzelnen Anwendungsfall und gemeinsam mit dem Kunden erstellt werden. Wie bei einem Equalizer, bei dem verschiedene Klangprofile auf den Charakter des Eingangssignales angepasst werden, ist auch bei der Kalibrierung des Modells das passende „Klangbild“ zu ermitteln. Die Stellhebel des Leistungsmodells sind also vergleichbar mit den Stellhebeln eines Equalizers und ermöglichen die Erzielung eines optimalen „Ausgangssignals“ in Abhängigkeit von den Eingangsgrößen „Status“ und „Zielgrößen“. Um die Kalibrierung des Modells zu erleichtern, erscheint die Voreinstellung von „Klangbildern“ für einzelne Branchen auf Basis der gesammelten Erfahrungswerte und Zielgrößen sinnvoll – analog zu Preset-Einstellungen beim Equalizer („Rock“, „Pop“, „Classics“, …) (siehe Abbildung 10).
Damit werden die Fragestellungen „Welcher Unternehmenstyp bin ich?“ und „Welche Zielgrößen will ich optimieren?“ beantwortet.
Wie können diese Grundbetrachtungen nun konkret in ein Optimierungsprojekt der F&E angewendet werden?
Nur eingebettet in ein methodisch abgestimmtes Vorgehensmodell kann eine Optimierung erfolgreich und nachhaltig durchgeführt werden. Die Optimierung läuft grundsätzlich in vier Hauptphasen ab (siehe Abbildung 11): Nach der Kalibrierung (1) von Wirk- und Reifegradmodell sowie Vorgehensweise auf den zu optimierenden Bereich erfolgt eine stringente Erhebung sowie Bewertung des Istzustandes (2) und die Ermittlung der relevanten Treiber und Störgrößen. Im Rahmen einer sogenannten „PE-Klinik“ (3) wird dann aufbauend auf den Erkenntnissen aus (2) ein Set an Maßnahmen abgeleitet, deren Umsetzung für eine erfolgreiche Optimierung im Rahmen eines Veränderungsprozesses (4) begleitet werden muss.
Die Phasen dieses Vorgehensmodells im Detail:
Kalibrierung
Zu Beginn des Projektes gilt es, gemeinsam mit dem Kunden und dem Auftraggeber die Zielsetzung und den Projekt-Scope bzw. das Projektportfolio des Optimierungsauftrags zu definieren, die sich an der Unternehmensstrategie und dem Produktportfolio ausrichten. Die Vereinbarung aller notwendigen Rahmenbedingungen, wie eines Projektplans, den Eskalationsmaßnahmen und Abbruchbedingungen, eines dedizierten Projektteams sowie die Verfügbarkeit der benötigten Interviewpartner sichert das benötigte robuste Mandat. Die Anwendung erprobter Methoden und das Einbringen von Best Practices, zum Beispiel bei der gemeinsamen Klärung der Zielsetzung, Erarbeitung der Stakeholder-Landkarte oder Erstellung des Projektplans, setzen den Grundstein für einen nachhaltigen Projekterfolg.
Nach der Sicherstellung des robusten Mandates wird das Wirkmodell auf die Rahmenbedingungen des Unternehmens kalibriert. Dadurch ergeben sich die Analysefelder für eine minimal invasive Standortbestimmung des Entwicklungssystems.
Bewertung
Über eine strukturierte Befragung und eine begleitende Sichtung des Dokumentenstandes wird der Ist-Stand in Bezug auf die Zielgrößen erhoben und im Reifegradmodell eingeordnet. Aus der Aggregation dieser Ergebnisse mit der Bewertung erfahrener Experten ergibt sich eine valide objektivierte Einsortierung im Modell. Essenziell ist, dass Kunden in den Bewertungsprozess eingebunden werden und Ergebnisse damit tragfähig sind. In jeder Phase der Ist-Stand-Erhebung wird den Interviewpartnern und den Führungskräften der aktuelle Stand der Erhebungen reflektiert. Nur dadurch kann in dieser entscheidenden Phase vermieden werden, auf Grund von Fehlinterpretationen des Gehörten oder Gesehenen, falsche Schwerpunkte zu setzen. Außerdem wird hierdurch die Grundlage für eine Identifikation mit den zurückgespiegelten Analyseergebnissen sichergestellt. Auf Basis der Ist-Stand-Erhebung, der Einsortierung in das Reifemodell und dem kalibrierten Wirkmodell lassen sich bereits potenzielle Treiber und Störgrößen ermitteln.
Verbesserung
Ein entscheidender Erfolgsfaktor für die Erarbeitung der richtigen Maßnahmen und deren erfolgreichen Umsetzung ist die Identifikation der Führungskräfte mit den Analyseergebnissen. Nur dadurch kann die benötigte Betroffenheit erzeugt werden, um die notwendige Veränderung voranzutreiben. Ein cross-funktionales Team erarbeitet in einem emergenten, sehr schnellen und iterativen Vorgehen (Annealing) die notwendigen Maßnahmen in der PE-Klinik, fernab von der gewohnten Umgebung. In diesem dedizierten Vorgehen werden unter Anwendung des Reifegrad- und Wirkmodells verschiedene Lösungsansätze und deren Auswirkung simuliert. Durch die interdisziplinäre Besetzung der Teilnehmer, das Einbringen von Best Practices und gezielte Impulse über eine externe Jury entstehen kundenspezifische Out-of-thebox-Lösungen, die machbar, akzeptiert und tragfähig sind. Diese Art von Lösungen ist notwendig, da die Optimierungsziele meist so anspruchsvoll sind, dass diese mit in „klassischer“ Weise deduktiv abgeleiteten Maßnahmen nicht erreicht werden können. In diesem Prozess werden auch geeignete Kennzahlen abgeleitet, so dass die Erreichung des optimalen Betriebspunktes messbar ist. Besonderes Augenmerk wird dabei auch auf die Ermittlung möglicher „quick wins“ gelegt, um eine schnelle Sichtbarkeit der Maßnahmenwirkung und damit deren Akzeptanz und die Motivation zur Veränderung sicherzustellen.
Veränderung
Eine konsequente Vorbereitung und Begleitung in der Umsetzung der Optimierungsmaßnahmen in Verbindung mit einem durchgängigen Change-Management sichert den nachhaltigen Erfolg. Dazu gehört die Erstellung einer realistischen, auf die Möglichkeiten des Unternehmens abgestimmten Roadmap. Das heißt, es werden die „natürlichen“ Phänomene bei Veränderungen (z.B. Resignation, Frustration, etc.) genutzt, um mit Widerständen und Rückschlägen produktiv umzugehen. Ebenso wichtig ist eine intensive, gezielte und regelmäßige Kommunikation über die Key Stakeholder, um die „Deutungshoheit“ über die Initiative
zu behalten und den „Flurfunk“ zu steuern. Begleitendes Risikomanagement mit einer Mitigation der Toprisiken sichert den Projekterfolg ab.
Ausblick
Die Optimierung von Entwicklungssystemen stellt eine Herausforderung für alle Beteiligten dar. Dabei gilt es im Wesentlichen, den optimalen Betriebspunkt zu finden, an dem das Gesamtsystem im Vergleich zu den benötigten Ressourcen und den verursachten Störungen die optimale Leistung liefert.
Eine umfassende und auf die jeweilige Situation des Unternehmens angepasste Modellierung des Gesamtsystems ist zwingend erforderlich, um die richtigen Stellhebel zu identifizieren und damit die notwendigen Maßnahmen abzuleiten, um die gewünschten Ziele zu erreichen. Dabei sind sowohl harte als auch weiche Faktoren in gleicher Weise zu berücksichtigen.
Die angeführten Modelle (Wirk- und Reifegradmodell) basieren auf langjähriger, branchenübergreifender Erfahrung in der Optimierung von Entwicklungssystemen und werden mit jeder neuen Optimierung fortlaufend weiterentwickelt. Die Kalibrierung der Modelle auf die kundenspezifische Situation ermöglicht eine zielgerichtete und effiziente Optimierung, in welche zudem langjährig bewährte Best-Practice-Ansätze aus unterschiedlichsten Industrien einfließen.
Für den nachhaltigen Optimierungserfolg bedarf es einer erfolgreichen Anwendung des Modells sowie der Umsetzung der daraus abgeleiteten Maßnahmen und Lösungsansätze in einem abgestimmten Vorgehensmodell, das den Umgang mit Veränderung als integralen Bestandteil hat.
Da der optimale Betriebspunkt eines Entwicklungssystems nicht statisch ist, ist eine kontinuierliche Optimierung zwingend erforderlich. Das Entwicklungssystem muss immer wieder hinterfragt werden, ob es angesichts des aktuellen Optimierungsziels noch die bestmögliche Aufstellung aufweist oder Handlungsbedarf gegeben ist. Nur so kann eine Weiterentwicklung und damit eine fortdauernde Wettbewerbsfähigkeit oder sogar ein Wettbewerbsvorsprung gewährleistet werden.
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