Vier Schlüsselfaktoren für erfolgreiche Partnerschaften in IoT-Ökosystemen

17/01/2019

Vier Schlüsselfaktoren für erfolgreiche Partnerschaften in IoT-Ökosystemen

IoT-Systemen liegt bekanntlich ein „System of Systems“-Paradigma zugrunde. Dabei wird der Wert eines Systems nicht mehr ausschließlich durch ein einzelnes, abgeschlossenes Produkt, sondern durch das Zusammenspiel eines ganzen Verbunds ursprünglich selbstbestimmter Systeme generiert. So ergeben sich beispielsweise durch die intelligente Vernetzung verschiedenster Verkehrsmittel völlig neue multi-modale Mobilitätslösungen, die es gerade im urbanen Raum für viele Nutzer immer unattraktiver machen, ein eigenes Auto zu besitzen.

Die daraus resultierende Zunahme der technischen Komplexität im Lösungsangebot erfordert die Fähigkeit und Haltung von F&E-Organisationen, kollaborativ zusammenzuarbeiten. Kollaborationen können dabei sowohl unternehmensintern, vor allem aber auch mit anderen, ggf. sogar konkurrierenden Unternehmen notwendig sein, um zukünftige Kunden-Use-Cases im IoT-Kontext abbilden zu können.

Wie in jeder Beziehung gilt es, gerade auch bei Unternehmenskooperationen einiges zu beachten, damit aus der „Liebe auf den ersten Blick“ nicht schnell ein Albtraum wird. Gemeinsam mit IoT-Experten aus verschiedenen Hochtechnologiebranchen haben wir vier Schlüsselfaktoren für erfolgreiche IoT-Partnerschaften herausgearbeitet.

Abbildung 1: Vier entscheidende Schlüsselfaktoren und ausgewählte Handlungsempfehlungen für
erfolgreiche Partnerschaften in IoT-Ökosystemen.


Partnersuche und -wahl

Eine fundierte Analyse vor der Partnerwahl kann so manches böses Erwachen vermeiden. Oft erkennt man im Vorfeld nicht, welche Kompetenzen und Absichten ein potenzieller Partner tatsächlich mitbringt. Ein gutes Beispiel für funktionierende branchenübergreifende Partnerschaften im IoT sind z. B. die deutschen Carsharing-Anbieter Car2go und DriveNow. Bei beiden Formaten hat sich jeweils ein etablierter Premium-OEM (Daimler/BMW) mit einem Autovermieter (Europcar/Sixt) zusammengetan. Ein Partner hat dabei seine Fahrzeuge eingebracht sowie die notwendigen Technologien zur geteilten Nutzung der Fahrzeuge entwickelt. Der andere Partner hat seine Kompetenz aus dem Service und Flottenmanagement eingebracht sowie für eine schnelle, minutengenaue Abrechnung gesorgt.

Die Partnersuche sollte daher bereits bei der Geschäftsmodellentwicklung anfangen und folgende Fragestellungen berücksichtigen:

  • Für welche meiner zukünftigen IoT-Geschäftsmodelle brauche ich kurz-/mittel-/langfristig Kompetenzen oder Ressourcen, die ich heute nicht habe?
  • Welche der fehlenden Kompetenzen oder Ressourcen kann und will ich kurz-/mittel-/ langfristig selbst aufbauen?
  • Welche Ideen und strategischen Stoßrichtungen lassen sich nur mit einem oder mehreren Partnern realisieren?
  • Was erwarte ich mir von der Partnerschaft?
  • Was hat der Partner davon, mit mir zusammenzuarbeiten?
  • Was will ich in die Partnerschaft einbringen/investieren?
  • Welches Wissen bin ich bereit preiszugeben?
  • Auf welche Dauer soll die Partnerschaft ausgelegt sein?
  • Welche Spielregeln sind mir in einer Partnerschaft wichtig?
  • Wie ist die Bereitschaft meiner Mitarbeiter, mit Partnern zusammenzuarbeiten, und wie befähige ich sie dazu?

Neben dem strategischen Fit müssen vor allen Dingen auch die „Betriebsmodelle“ der potenziellen Kooperationspartner zueinanderpassen. Nur dann ist ein konstruktives Zusammenarbeiten auf allen Ebenen gewährleistet.

Allerdings gilt es auch Folgendes zu bedenken: Wenn man aufgrund erster offensichtlicher Diskrepanzen eine Partnerschaft gar nicht erst in Erwägung zieht, z.B. mit Startups, verschenkt man vielleicht viel Potenzial. Kulturelle Unterschiede können sogar sehr stimulierend wirken, wenn man sich darauf einlässt. Gerade Startups bringen mit ihrer Mentalität oft frischen Wind in etablierte Unternehmen.

Der gemeinsame Erfolg hängt auch stark vom richtigen „Expectation Setting“, vor allem im Management ab. Angehende Partner sollten sich bewusst sein, was sie gemeinsam erreichen wollen und was sie voneinander erwarten.

Am besten startet man mit einem gemeinsamen Pilotprojekt, in dem ohne großes Risiko das gemeinschaftliche Arbeiten getestet werden kann.

Partnerschaft gestalten

In einer guten Partnerschaft sollte von Anfang an klar sein, welche Ziele gemeinsam erreicht werden sollen. Sind die zukünftigen Partner eher auf ein kurzes Intermezzo oder eine langfristige Beziehung aus? Soll das Arrangement exklusiv oder offen sein? Zudem sollte bereits am Anfang geklärt werden, wer welchen Beitrag zur Zielerreichung liefert. Nur wenn alle Partner die Möglichkeit bekommen, ihr spezifisches Know-how einzubringen, entsteht eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Gerade zwischen OEM und Zulieferer ist die Gestaltung der Zusammenarbeit aufgrund der historischen Machtverhältnisse oft schwierig. Dass bei komplexen Entwicklungen wie dem autonomen Fahren viele Kompetenzen zusammenkommen müssen, um erfolgreiche Lösungen auf den Markt zu bringen, fördert natürlich die Bereitschaft der Partner, kooperativ zusammenzuarbeiten. Dies lässt sich gut an der Entwicklungspartnerschaft von BMW, FCA, Intel, Mobileye und Continental beobachten, deren Ziel es ist, eine skalierbare, herstellerunabhängige Plattform für das autonome Fahren zu entwickeln. OEMs, Systemintegratoren, Hersteller von Fahrerassistenzsystemen und Chiphersteller arbeiten hier Hand in Hand an der Zukunft der Mobilität. Dabei bringt jeder der Partner seine eigene und für den Gesamterfolg entscheidende Expertise in das Gemeinschaftsprojekt ein. Damit so eine Konstellation funktioniert, müssen von vorneherein die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden.

Klare Vereinbarungen (z. B. Joint-Venture-Agreements) definieren die gemeinsamen Ziele und Spielregeln sowie den Schutz von Intellectual Property während der Kooperation. Auch der Anspruch an die Reife von Produkten sollte eine möglichst hohe Übereinstimmung haben. Eine 0-Fehler-Kultur auf der einen Seite und eine 80/20-Mentalität auf der anderen Seite können sonst zu Unstimmigkeiten und Konflikten in der Beziehung führen. Wichtig sind zudem klare Verantwortungen und definierte Schnittstellen. Das frühe und aktive Einbinden von relevanten Stakeholdern auf allen Seiten vermeidet Abstimmungsprobleme und Blindleistung. Ein Integrationskonzept kann die Weichen für den gemeinsamen Weg zur Zielerreichung legen.

Beziehungspflege

Die Bereitschaft, oder besser gesagt, der Wille sowie das Fingerspitzengefühl in der Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen im eigenen Unternehmen, aber vor allem in Partnerschaften mit anderen Unternehmen stellen eine wesentliche Voraussetzung für eine IoT-fähige Unternehmenskultur dar.

Wie in einer guten Ehe müssen auch Unternehmenspartnerschaften gepflegt werden. Dabei gilt es, sich mit dem Gegenüber auseinanderzusetzen und die „Sprache“, Belange und Herausforderungen der kollaborierenden Partner zu verstehen. Genauso begünstigt eine effiziente, aber trotzdem wertschätzende Kommunikation das Ausbalancieren von Zielkonflikten im IoT-Systemverbund. Der gegenseitige Austausch von Mitarbeitern, gemeinsame Büros oder Messe- und Markenauftritte stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl.

Eine Partnerschaft lebt aber vor allem auch von den unterschiedlichen Ideen und Kompetenzen, die die Partner einbringen. Diese Unterschiede müssen aber akzeptiert, überbrückt und gemanagt werden, damit die Partner gemeinsam zum Erfolg kommen. Eine hohe Transparenz in der Kooperation stellt die Basis für einen vertrauensvollen und offenen Umgang miteinander dar, ohne den Innovation und eine effiziente Zusammenarbeit schwer möglich sind.

Innovationen im IoT-Kontext weisen oft einen emergenten Charakter auf: Das heißt einerseits, dass Use Cases und Eigenschaften des Systemverbunds erst im Zusammenspiel der unterschiedlichen Systeme entstehen und dies teilweise sogar ungeplant geschieht. Zudem werden neue Lösungsmöglichkeiten erst in der Entwicklung oder im Betrieb entdeckt und folgen ggf. keiner linearen Logik. Dies funktioniert nur, wenn alle beteiligten Partner mitdenken und eine gemeinsame Produkt-/Systemvision teilen. Und hier liegen die Hauptaufgabe und die Herausforderung für Führungskräfte:

  • gemeinsames Mindset und Identifikation erzeugen
  • klare Vision etablieren
  • Mitdenken fördern
  • Mitarbeiter inspirieren und befähigen
  • mit gutem Beispiel vorangehen

Interne starke Fürsprecher und Treiber schaffen zudem Vertrauen für die Zusammenarbeit mit Startups und anderen Partnern und überbrücken das Not-invented-here-Syndrom. Co-Location mit Partnern, insbesondere auch außerhalb der normalen Bereiche (z. B. in eigenen Labs), unterstützen diesen Effekt und werden in diesem Kontext zunehmend bedeutsam.

Ein weiterer Baustein für eine langlebige und erfolgreiche Partnerschaft ist es auch, über die Unternehmensgrenzen hinweg Communitys zu bilden, in denen sich die Experten der unterschiedlichen Firmen austauschen und annähern können. „Ist nicht mein Problem“ ist im IoT-Umfeld sowie in jedem System bzw. Systemverbund fehl am Platz. Es bedarf eines gemeinsamen Mindsets zwischen allen Partnern, was im Kollektiv zu erzeugen ist bzw. welcher Mehrwert gemeinsam wie gestaltet wird. Anreizsysteme, die das Handeln zugunsten einer Gesamtheit incentivieren, anstelle lokale Optimierung zu befeuern, wirken unterstützend.

Krisen managen und Beziehung beenden

Krisen oder Fehlschläge werden im modernen Umfeld längst nicht mehr als eine Gefahr für die Beziehung gesehen. Im Gegenteil, sie sind die idealen Ausgangspunkte für längst nötige Kurskorrekturen in der Beziehung. Gerade im größeren IoT-Systemverbund gilt es, die Ursache herauszuarbeiten und zu beseitigen. Dann bieten Krisensituationen eine ideale Chance für die eigene Entwicklung und für eine neue Tiefe in der Partnerschaft.

Partnerschaften müssen auch nicht immer mit einer „Hochzeit im Himmel“ enden. Wenn kein zusätzlicher Mehrwert mehr zu erwarten ist, sollten die Partner wieder getrennte Wege gehen. Die Gründe für eine Trennung vom Partner können dabei vielfältig sein. An dem oben genannten Beispiel kann man aber auch gut erkennen, wie sich die Interessen über die Jahre verschieben. So haben Daimler und BMW jüngst entschlossen, ihr Angebot zusammenzulegen und ohne ihre bisherigen Partner weiterzumachen. Die OEMs haben mittlerweile gelernt, was es bedeutet, Services anzubieten, und die Autovermieter bieten längst eigene Mobilitätskonzepte an, ohne sich dabei an einen bestimmten Fahrzeughersteller zu binden. Die Prioritäten bei der Partnerwahl können sich folglich mit der Zeit durch den eigenen Kompetenzgewinn oder eine neue strategische Ausrichtung ändern. In der Praxis sind häufig folgende Gründe Auslöser für eine Trennung:

  • Die Partnerschaft erreicht die gesteckten Ziele nicht.
  • Die Kompetenzen ergänzen sich nicht wie erwartet.
  • Die Marktsituation hat sich geändert.
  • Die Zusammenarbeit erfolgt nicht wie vereinbart (Prozesse passen nicht, Tool-Schnittstellen erweisen sich als Hürden, Termine werden nicht gehalten …).
  • Der Partner bricht die „Regeln“ (Unzuverlässigkeit, Diebstahl etc.).

Das Ende einer Kooperation zu akzeptieren, ist nicht immer einfach, aber notwendig, und sollte immer zu einem „guten“ Ende geführt werden. Dabei gilt es, den Fokus auf sich selbst zu legen und sich nicht mehr länger mit dem zu beschäftigen, was der andere nicht macht.

Professionelle Unterstützung kann dann insbesondere in dieser Phase sinnvoll sein, prinzipiell ist diese aber in allen Phasen einer Partnerschaft hilfreich, z. B. bei der Kontaktaufnahme, Due Diligence, Krisenmanagement, Moderation gemeinsamer Workshops oder Ähnliches.

Fazit

Die zentralen zu klärenden Fragen im IoT-Zeitalter sind:

“Worüber will ich zukünftig Wert für meine Kunden generieren? Welche sind die Wertströme, die ich im IoT bedienen möchte?”

Unternehmen benötigen Klarheit darüber, aus welchen Diensten der Kunde in einem IoT zukünftig Wert ziehen wird und welchen Anteil, welche Rolle man selbst darin spielen möchte. Was sind die Schlüsseltechnologien (z. B. Datenanalytik, künstliche Intelligenz, Over-the-air-Updates, Kryptographie etc.) und Schlüsselfähigkeiten (z. B. Gestaltung von Geschäftsmodellen, UX-Design, agile Feature-Entwicklung), die die Organisation benötigt, um diese zukünftige Positionierung zu bedienen? Kann ich das allein oder brauche ich dafür Partner? Dieser strategischen Stoßrichtung sollte man konsequent folgen und Dinge ausprobieren, lernen und basierend auf den Learnings die Richtung korrigieren. Dabei ist es wie im normalen Leben: Nicht die erste große Liebe erweist sich gleich als die langlebigste und erfolgreichste.

Letztlich müssen sich Unternehmen im IoT-Umfeld für eine strategische Ausrichtung zwischen Kollaboration und Protektionismus entscheiden: Schützen Sie Ihre eigenen Kernkompetenzen und schotten Sie sich ab, oder öffnen Sie sich für Partnerschaften und Kollaborationen und gehen Sie das Risiko ein, Ihre Kernkompetenzen ein Stück weit offenzulegen.

Aufgrund der hohen Vernetzung im IoT und der daraus entstehenden Use Cases für den Kunden ist ein Alleingang langfristig kaum vorstellbar. Unternehmen müssen deswegen lernen sich zu öffnen und da, wo es notwendig ist, mit Partnern zu kollaborieren. Das muss nicht immer die vollständige Aufgabe der eigenen Kernkompetenzen bedeuten. Mit entsprechenden Vorbereitungen und Vereinbarungen können Partner vorneweg klarmachen, was sie einbringen werden und was nicht. Schließlich müssen am Ende alle Beteiligten von einer Partnerschaft profitieren, damit diese erfolgreich sein kann. Verlieben Sie sich also neu!

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Autor

Stephan Finkel

Stephan Finkel ist Partner bei der 3DSE Management Consultants GmbH in München. Mit nahezu 20 Jahren Beratungserfahrung in F&E hat er in nationalen sowie internationalen Projekten eine tiefgreifende Expertise zu Systems Engineering (SE) sowie Systems of Systems erlangt. Mit exzellenten Branchenkenntnissen in Automotive, Defence & Security, Transportation und Aerospace liegt seine Kernkompetenz auf der strategischen Gestaltung und nachhaltigen Umsetzung von SE Transformations- und Qualifizierungsprogrammen. Stephan Finkel verantwortet das Marktsegment „Defence & Security“ und kümmert sich als Chief Solution Architect um die Weiterentwicklung des 3DSE Leistungsportfolios sowie die strategische Kompetenzentwicklung der 3DSE.