Architektur­management bei BSH

24/03/2023

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Das Zusammenspiel von Produktmanagement, Produktentwicklung und Produktion

Interview von Denis Trost mit Michael Rosenbauer

Um auf stetig wechselnde Marktanforderungen und den wachsenden Konkurrenzdruck reagieren zu können, müssen Unternehmen in der Lage sein, schnelle und klare Portfolioentscheidungen zu treffen. Diese gilt es in der Organisation effizient umzusetzen. Um Synergien im Unternehmen zu schaffen, ist eine enge Abstimmung zwischen Produktmanagement, Produktentwicklung und Produktion notwendig. Die BSH Hausgeräte GmbH fasst dieses Vorgehen unter dem Begriff „Architecture Management“ zusammen.

Im Interview mit Denis Trost erläutert Michael Rosenbauer, Head of Global Development bei BSH, was Europas führender Hausgerätehersteller unter Architekturmanagement versteht und vor welchen Herausforderungen sich das Unternehmen sieht.

Michael Rosenbauer ist seit 1988 bei der BSH tätig. Nach seinem Einstieg als Ingenieur in der Zentralen Technik arbeitete er in verschiedenen Führungspositionen auf der Entwicklungs- und Produktionsseite. Seit 2021 ist er Leiter der Globalen Entwicklung der BSH. Sein Fokus liegt auf der Entwicklung von Innovationen, der Implementierung von Architekturen und der Komplexitätsreduzierung.


3DSE: Herr Rosenbauer, bei der Firma BSH steht Architekturmanagement schon länger im Fokus. Wie sieht Ihr Ansatz aus und was verstehen Sie überhaupt unter Architekturmanagement?

Michael Rosenbauer: Das Architekturmanagement ist bei uns intern auch als PACT bekannt. PACT beschreibt das Zusammenspiel zwischen Programm-, Produkt- und Produktionsarchitektur, gemeint sind damit das Produktmanagement, die Produktentwicklung und die Produktion. Es ist ein Konzept, welches uns Prof. Schuh von der RWTH Aachen nähergebracht hat. Kernelement: Der Kunde und seine Anforderungen werden in den Mittelpunkt gestellt. Unser Credo war lange Zeit, Umsatzwachstum durch Variantenwachstum zu generieren. Der Haken dabei ist aber, dass dadurch viele unabhängige Projekte entstanden sind, welche die interne Komplexität massiv erhöht haben. Damit war klar, dass das Konzept perspektivisch in dieser Form nicht mehr tragbar sein wird. Ein wichtiges Ziel unseres Architekturmanagements ist es daher, unter anderem dem Komplexitätswachstum entgegenzuwirken.


3DSE: Sie sind schon lange im Unternehmen, wie haben Sie die Einführung von PACT bei BSH miterlebt und was hat BSH dazu motiviert, sich mit diesem Thema zu befassen?

Michael Rosenbauer: Ich bin in der Produktkategorie Geschirrspüler, intern sprechen wir von Dish Care, groß geworden, für mich war Architektur in meiner Laufbahn bei BSH schon immer ein Thema. Dish Care hat sich schon mit dem Thema Architektur befasst, als der Geschirrspüler bei BSH neu ins Produktportfolio aufgenommen wurde. Damals war Dish Care die einzige Produktkategorie mit einer Produktarchitektur. Die Effizienzvorteile für die Kategorie waren schnell messbar. Zeitgleich hat VW mit seinen MQB* und MLB*-Plattformen (*modularer Querbaukasten und modularer Längsbaukasten) die Runde durch die Medien gemacht. Dies war der Auslöser, sich dem Thema Architektur auch unternehmensweit, also in allen Produktkategorien, anzunehmen. 2010 haben wir bei BSH die Initiative zur Vereinheitlichung der Architekturen unter dem Begriff PACT gestartet.


3DSE: Welche weiteren Ziele verfolgen Sie mit PACT bei BSH?

Michael Rosenbauer: Wir zielen mit PACT auf drei Hauptziele ab. Erstens eine Reduzierung der Zeit bis ein Produkt auf den Markt kommt, der sogenannten Time-to-Market. Zweitens wollen wir unseren Konsumenten die Möglichkeit der Individualisierung bieten können. Und zuletzt ist es unser Anspruch, parallel eine Ressourcenoptimierung mit PACT bewerkstelligen zu können. Wenn ich an die Individualisierung denke, dann sollte unsere Konsumenten die Möglichkeit haben, ein Produktmerkmal aus unserer 60 Zentimeter breiten Spülmaschine, welches er sich wünscht, auch in seinem 45 Zentimeter breiten Geschirrspüler zu bekommen. Das erfordert harmonisierte Architekturen und Schnittstellen, ohne die wir unsere Produktvielfalt nicht beherrschen können, wenn es gleichzeitig gilt, den Kundenwünschen gerecht zu werden.


3DSE: Eingangs haben Sie gesagt, dass PACT aus Programm-, Produkt- und Produktionsarchitektur besteht. Was verstehen Sie bei BSH darunter?

Michael Rosenbauer: Die Programmarchitektur steht am Anfang und definiert das Produktportfolio. Die Marketingkollegen haben dabei die schwierige Aufgabe, die zukünftigen Kundenerwartungen zu antizipieren und diese durch Produkte und Produktfunktionen zu erfüllen. Bereits hier sollten Synergien zwischen Produkten berücksichtigt werden.

Produktarchitektur umfasst sowohl Hardware als auch Software und E/E* (*Elektrik/Elektronik). Die Produkte innerhalb einer Architektur können in Module heruntergebrochen werden. Um bei diesen wiederum eine Austauschbarkeit zu gewährleisten, müssen die Schnittstellen sorgfältig definiert und angewendet werden. Besondere Schwierigkeiten gibt es dabei zwischen unterschiedlichen Produkten oder gar unterschiedlichen Produktbaureihen, dabei bergen gerade diese auch das größte wirtschaftliche Potential.

Architekturarbeit geht über Produkt und Portfolio hinaus und muss sich auch in der Produktion, sprich „Produktionsarchitektur“ widerspiegeln. Die Produktionsarchitektur umfasst einen Baukasten von einheitlichen Produktionsprozessen und -technologien. Kern von PACT ist die gemeinschaftliche Abstimmung und Synchronisation aller drei Architekturen.


3DSE: Vor welchen Herausforderungen steht BSH heute und wie kann PACT dabei helfen diese zu meistern?

Michael Rosenbauer: Eine Herausforderung ist die steigende Erwartung der Konsumenten nach individuellen und marktspezifischen Lösungen. Wir müssen auf der einen Seite Geschirrspüler anbieten, die mit kleinen Teegläsern zurechtkommen und auf der anderen Seite Geräte, die große Pizzateller fassen können. Jedes Gerät komplett neu zu entwickeln ist nicht wirtschaftlich. Durch unsere Architektur können wir einen Großteil der Geräte gleich lassen, passen aber die marktspezifischen Funktionen an.

Die zweite große Herausforderung sind die kurzen Innovationszyklen. Wir müssen schnell in der Lage sein, innovative Funktionen auf den Markt zu bringen. Eine gute Architektur ermöglicht uns schnelle Anpassungen mit geringem Änderungsaufwand am Produkt.

Um beiden Herausforderungen zu begegnen, müssen wir uns im Vorfeld Gedanken über die Struktur der Architektur machen. Diese Prozessoptimierung in der Produktentwicklung kostet viel Kraft in einer frühen Phase. Die Früchte erntet man aber erst später.


3DSE: Mit Ihrem Background aus der Entwicklung liegt Ihre Kernexpertise in der Produktarchitektur, wenn wir nun den Fokus darauf legen die Frage: Wann muss eine vorhandene Architektur durch eine neue ersetzt werden?

Michael Rosenbauer: In meinen Augen gibt es drei Treiber dafür, von einer Bestandsarchitektur zu einer neuen zu wechseln. Zum einen gibt es die Komplexität, die über die Laufzeit einer Architektur kontinuierlich wächst. Ab einem gewissen Punkt ist eine Architektur somit zu komplex, um sie noch effektiv zu betreiben. Zwei weitere Faktoren, die dafürsprechen, dass eine Architektur nicht mehr effizient ist: wenn Innovationen nicht implementiert werden können oder Kosteneinsparpotentiale nur aufwändig realisierbar sind.


3DSE: Komplexität steht also im Mittelpunkt des gesamten Bestrebens. Auf welche Komplexität be-ziehungsweise auf welche Komplexitätsminderung zielen Sie dabei ab?

Michael Rosenbauer: Das Ziel sollte eigentlich immer eine Komplexität beziehungsweise Variantenvielfalt von Eins sein. In meinen Augen braucht es hierfür eine Art Beweislastumkehr. Die Ingenieure beziehungsweise Architekten müssen beweisen, dass es mit lediglich einer Variante nicht umsetzbar ist. Nur so, von unten kommend, lässt sich ein Optimum klar erkennen. Wenn ich zum Beispiel an unsere Antriebe in der Produktkategorie Wäschepflege denke, bei denen wir früher 60 Varianten hatten und die wir auf 4 reduzieren konnten, dann merkt man schnell, dass von oben kommend viel mehr Diskussionsspielraum vorhanden ist.


3DSE: Das klingt insgesamt so, als wäre das Architekturmanagement bei BSH so weit ausgereift. Wie sieht damit die Zukunft von PACT im Konzern aus?

Michael Rosenbauer: Ja, am Architekturmanagement wird sich bei uns mittelfristig nichts verändern. Jedoch wird sich unser Fokus mehr und mehr in Richtung Elektronik-Software verlagern, sowie auf die digitalen „Features“. Was wir brauchen, ist eine Kulturveränderung. Wir sind ein mechanisch geprägtes Unternehmen, Software stellt für uns immer noch eine Herausforderung dar. Dabei steigt die Anzahl der elektronischen Module kontinuierlich, die Anzahl an Codes, die mittlerweile in den einfachsten Geschirrspülern stecken, waren vor wenigen Jahren noch unvorstellbar. Das heißt, wir brauchen über unser gesamtes Portfolio einheitliche CPUs* (*Central Processing Units) sowie Core Elektronik und Software, damit die Komplexität beherrschbar bleibt. Elektronik-/Softwarearchitektur muss demnach produktübergreifend angewandt werden, um eine Austauschbarkeit dieser Elemente zu gewährleisten.

Eine weitere Herausforderung, der wir uns im Rahmen von PACT noch stellen müssen, ist die Berücksichtigung architekturübergreifender Designarchitektur für alle Produkte, um einen uniformen Eindruck beim Konsumenten zu erlauben. Die größte Hürde dafür ist die Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Produktkategorien, die enorme Auswirkungen auf Projektzeitpläne und -kosten hat. Für Apple mag das „State of the Art“ sein, für uns ist dieses Bestreben eine Herausforderung, vor allem wenn der Anteil an Software in der Entwicklung weiter zunimmt. Deshalb überprüfen wir kontinuierlich unsere Prozessmodelle und müssen diese bei Bedarf anpassen.


3DSE: Sie zeigen hier doch viele Problemstellen oder zumindest Baustellen auf, wie ist Ihr persönlicher Ausblick zu diesen PACT-Themen in die Zukunft?

Michael Rosenbauer: Ich blicke positiv in die Zukunft; ich bin immer schon Entwickler, da brauche ich eine positive Grundeinstellung. [lacht] Wir haben noch einiges zum Thema Architektur bei BSH zu tun. Wir haben kürzlich unsere interne Organisation optimiert, das sehe ich als große Chance. Es ist anstrengend und herausfordernd, weil man im Unternehmen viel Überzeugungsarbeit leisten muss, um die nötigen Ressourcen und die „Manpower“ für PACT bereitgestellt zu bekommen. In einigen unserer Entwicklungsbereiche ist das Thema Architektur bereits verinnerlicht, deshalb bin ich überzeugt davon, dass jegliche Herausforderungen im Bereich Architektur auch weiterhin mit Tatkraft in Angriff genommen werden.


3DSE: Herr Rosenbauer, ich danke Ihnen vielmals, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben und für Ihre spannenden Einblicke und Einschätzungen zum Architekturmanagement bei BSH.

Informationen zu BSH

Im Jahr 1967 als Gemeinschaftsunternehmen der Robert Bosch GmbH (Stuttgart) und der Siemens AG (München) gegründet, gehört die BSH seit Januar 2015 zu 100 Prozent zur Bosch-Gruppe. In ihrer mehr als 55-jährigen Unternehmensgeschichte hat sich die BSH vom deutschen Exporteur zu einem der führenden Hausgerätehersteller der Welt entwickelt. Mit rund 62.000 Mitarbeitern weltweit und 39 Fabriken produziert die BSH das gesamte Spektrum moderner Hausgeräte. Das Produktportfolio reicht dabei von Herden, Backöfen und Dunstabzugshauben über Geschirrspüler, Waschmaschinen, Trockner, Kühl- und Gefrierschränke bis hin zu kleinen Hausgeräten wie Staubsaugern, Kaffeevollautomaten oder Küchenmaschinen.

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Autor

Denis Trost

Denis Trost ist Principal bei der 3DSE Management Consultants GmbH in München. Mit 10 Jahren Beratungserfahrung aus globalen F&E-Transformationsprojekten berät er vor allem Kunden aus den Bereichen MedTech und Home Appliances. Denis Trost ist Practice Leader für F&E-Performance und gibt als Experte seinem Fachgebiet wegweisende Impulse für zukunftsfähige F&E-Organisationen.