Modularisierung zwischen pragmatischer Ergebnisorientiertheit und zukunftsgerichteter Notwendigkeit

28/09/2023

Bild_BRP Rotax

Interview von Lukas Eckermann und Dr. Martin Gieler mit Markus Hochmayr

Unternehmen entwickeln Produkte als optimale Lösung für die Anwendung. So ist es in Prozessen, Arbeitsweisen und Denkweisen der meisten Unternehmen verwurzelt. Modularisierung erfordert jedoch einen erweiterten Blick über das einzelne Projekt hinaus und ein Verschieben vom lokalen Optimum zu einem Gesamtoptimum. Dafür sind neue Prozesse und Methoden notwendig, die in die Unternehmen verwoben werden müssen.


Im Interview berichtet Markus Hochmayr, Chief Engineer Powertrain bei BRP-Rotax GmbH & Co. KG, über seine Erfahrungen bei der Einführung und Anwendung von Modularisierung.

BRP-Rotax GmbH & Co. KG mit Standorten in Österreich, Mexiko und China, ist Teil der globalen BRP-Familie und spezialisiert auf die Entwicklung und Produktion von Antriebssystemen für Powersportsfahrzeuge sowie für Sportflugzeuge und Karts. Markus Hochmayr arbeitet seit fast 25 Jahren bei BRP-Rotax und fokussiert sich als Chief Engineer neben Neukonzepte auch auf übergreifende Technologie-Themen in der Produktentwicklung.


3DSE: Herr Hochmayr, BRP-Rotax beschäftigt sich seit einigen Jahren mit dem Thema Modularisierung. Was hat Sie bewegt, das Thema aufzugreifen und voranzutreiben?

BRP-Rotax entwickelt und produziert Antriebssysteme für Powersportsprodukte unseres kanadischen Mutterkonzerns BRP wie Ski-Doo, Sea-Doo, Can-Am sowie für Karts und Sportflugzeuge. Aktuell haben wir 200 für die Anwendung optimierte Powertrains. Unser Anspruch ist dabei die Technologieführerschaft, die Erfüllung von Kundenerwartungen und zugleich die Optimierung der Kosten.

Eine Analyse unseres Unternehmens hat ergeben, dass Modularisierung uns dabei helfen kann, diesem Anspruch gerecht zu werden. Durch modulare Produkte sehen wir kostenseitig ein großes Potenzial und können gleichzeitig Technologieführerschaft und Kundenerwartungen sicherstellen bzw. auf neue Anforderungen schnell reagieren.

BRP-Rotax hat einen etablierten, modular aufgebauten Produktentwicklungsprozess, der sich anbietet, Methoden zur Entwicklung modularer Produkte zu integrieren und im Projektablauf anzuwenden.


3DSE: Herr Hochmayr, was ist Ihr Verständnis von modularer Produktentwicklung? Was ändert sich durch Modularisierung?

Bei der Ausführung des Produktentwicklungsprozesses in Projekten lag der Focus auf time-to-market. Der Blick auf Modularisierung war dabei eingeschränkt, z.B. auf Standardisierung von Bauteilen oder einen engeren Produktumfang.

Wir haben jetzt einen erweiterten Blick auf Modularisierung, betrachten Module und Schnittstellen produktübergreifend. Unser Ziel ist also, eine klare Modulstruktur und einheitliche Schnittstellen zwischen den Modulen zu erreichen. Das bringt gleich mehrere Vorteile: Module lassen sich innerhalb der Schnittstellen optimieren, neue Technologien können eingesetzt und Synergien in Entwicklung, Industrialisierung und Produktion genutzt werden. Auch zukünftige Varianten lassen sich damit einfacher integrieren.

Das Engagement für Modularisierung hing früher vom einzelnen Entwickler/von der einzelnen Entwicklerin ab. Jetzt sind wir dabei, einen strukturierten Prozess zu etablieren, uns neue Fähigkeiten anzueignen und das in unserem Produktentwicklungsprozess zu verankern.


3DSE: Welche Treiber, Trends, Chancen sehen Sie, die dem Thema Anschub geben?

Ein Haupttreiber ist der Kostendruck, unter dem wir stehen. Varianten wird es immer geben. Für unsere Technologieführerschaft und Wettbewerbsfähigkeit ist das notwendig, schließlich ermöglichen Varianten optimierte Antriebe und Fahrzeuge. Aber durch standardisierte Schnittstellen lassen sich Modul-Varianten einfach durch andere ersetzen oder produktübergreifend wiederverwenden. Wenn dadurch kein spürbarer Nachteil für die Endanwendung erwächst, können Synergien genutzt und Kostenpotenziale abgeschöpft werden.

Im Zuge der Weiterentwicklung unserer Produkte wollen wir schnell neue Lösungen von unserer Technologie-Roadmap in das Produkt integrieren. Eine modulare Produktgestaltung schafft einen Rahmen, der die Integration zukünftiger Technologien erleichtert.

Modularisierung braucht neben einer technischen Analyse auch eine Wirtschaftlichkeitsanalyse mit den entsprechenden praktikablen Verfahren, die auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten sind. Um diese Kostenpotenziale und das Zusammenspiel von direkten und indirekten Kosten transparent zu machen, braucht es eine Zusammenarbeit quer durch die Abteilungen. Die daraus erwachsenden Synergien werden am Ende des Tages auch der Produktqualität zugutekommen.

Wir haben eine starke Position im Markt. Diese gilt es, durch neue Fähigkeiten und einer hohen Kundenzufriedenheit abzusichern. Modularisierung und Kundenorientierung sind kein Widerspruch, wenn man es richtig macht. Im Gegenteil.

Powersports – mit seinen hohen Leistungsansprüchen – wird noch einige Zeit Verbrennungsmotoren erfordern. Als BRP-Rotax sind wir aber auch im Bereich der Elektroantriebe aktiv. Das wird neue Technologien und Varianten treiben, die möglichst effizient entwickelt werden müssen. Darauf wollen wir auch mit Modularisierung vorbereitet sein, insbesondere jetzt, wo sich die Entwicklung in einer frühen Phase befindet.


3DSE: Was sind aus Ihrer Sicht die Kernelemente in Prozess und Durchführung von Modularisierung? Was braucht es nach Ihrer Erfahrung, um das Thema in der Breite im Unternehmen zu etablieren?

Der Modularisierungsprozess ist eine Ergänzung zum bisherigen Produktentwicklungsprozess, wobei wir die inhaltliche Verknüpfung über Meilensteine und Governance herstellen können.

Es braucht also einen klar definierten und verständlichen Prozess. Das ist aber nur ein Aspekt. Es braucht darüber hinaus ein engagiertes Team, das den Nutzen der Modularisierung verstanden hat, ein unterstützendes Management, das Orientierung gibt und Ziele setzt. Das Team definiert und analysiert die Modulvarianten und Lösungsszenarien. Das braucht Zeit und eine positive Einstellung bei den Mitarbeiter:innen. Wir fördern das durch Schulung und Verständnisbildung. Das klingt einfach, muss aber erst einmal erreicht werden.

Bei bekannten Produkten, wie Motor oder Getriebe, kann man die groben Modulstrukturen rasch identifizieren. Den passenden Modul-Schnitt zu finden, bedarf einer Analyse der varianten-treibenden Anforderungen, Schnittstellen und Varianten. Die Ableitung und Bewertung der Modulszenarien sind aufwendig. Um hier effizient zu einem Ergebnis zu kommen, sind wir neue Wege gegangen.

Für die finanzielle Bewertung braucht es eine pragmatische und treffsichere Methode, um die Einsparpotenziale zu identifizieren und sichtbar zu machen. Wir betrachten dabei direkte und indirekte Kosten, verwenden eine Kombination von top-down und bottom-up Berechnungen entlang der Wertschöpfungskette. Der Zeithorizont ergibt sich aus der Projektlaufzeit und der jährlichen Stückzahlplanung.

Für unsere Entscheidungen setzen wir ein 2-stufiges Verfahren ein, bei dem zunächst ein projektunabhängiges Gremium die Empfehlungen aus der Modularisierung bewertet. Im Anschluss erfolgen Planung, Entscheidung und Umsetzung im konkreten Projekt.

Als Prozess Owner muss man dahinterstehen, um das Thema voranzutreiben. Wir entwickeln es, zeigen wie und dass es funktioniert. Mit den ersten Erfolgen baut sich ein positives Momentum auf und kann dann in der Breite eingeführt werden.

Ein starkes Anforderungs-Management ist eine gute Basis für die Modularisierung. Deshalb wollen wir hier ebenfalls noch nachlegen, um Prozesse und Methodiken zu stärken.

Einheitliche Schnittstellen und Module über Produktfamilien hinweg werden sich erst mit der Zeit ausbilden. Längerfristig werden wir dann noch weitere organisatorische Maßnahmen ergreifen, wie etwa die Verankerung des Modul Ownership in der Organisation.

Als hilfreich hat sich auch der externe Support von 3DSE bei der Gestaltung von Prozessen, Methodik und Moderation der Analysen erwiesen. 


3DSE: Wie ist Ihr Blick in die Zukunft betreffend Modularisierung? Was wäre Ihre Empfehlung an andere Unternehmen?

Tendenziell werden die Produkte immer komplexer und Produktvarianten nehmen zu. Um die daraus erwachsende Komplexität zu beherrschen, braucht es die Modularisierung. Mit dem von uns entwickelten Prozess erhält das Management eine Methodik, um alternative Szenarien zu bewerten und Entscheidungen faktenbasiert zu fällen. Die Erkenntnisse aus dieser Methodik würde man sonst erst spät im Entwicklungsprozess erhalten. Dieses Vorgehen wird umso wichtiger, wenn unser Portfolio durch elektrische Antriebe vergrößert wird.

Als BRP-Rotax haben wir einen pragmatischen und für uns zugeschnittenen Weg gewählt. Einfach ein „fremdes“ Tool zu nutzen, hätte für uns nicht funktioniert und wäre von der Organisation nicht angenommen worden. Sicher wird es auch noch Anpassungen und Optimierungen am Prozess geben – aber es geht ja darum zu lernen. So überwindet man die eigene Skepsis und wächst mit den Erfolgen.

3DSE: Herr Hochmayr, wir danken Ihnen vielmals, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben und für Ihre spannenden Einblicke und Einschätzungen zur Modularisierung bei BRP-Rotax.

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Autor

Dr. Martin Gieler

Dr. Martin Gieler ist Senior Consultant bei der 3DSE Management Consultants GmbH in Wien. Mit langjähriger, internationaler Erfahrung in Innovation und R&D in der Industrie arbeitet er quer durch Branchen und Themen wie Systems Engineering und Portfoliothemen.

Lukas Eckermann

Lukas Eckermann ist Manager bei der 3DSE Management Consultants GmbH in München. Seit 7 Jahren bringt er seine Expertise in Modularer Produktarchitektur ein in Projekten für Industrien wie Powersports, Landmaschinen, Nutzfahrzeuge oder Automobile OEM.