Schlüsselfaktoren für erfolgreiches Innovationsmanagement am Fallbeispiel der MTU Aero Engines AG
17/05/2019

Durch den digitalen Wandel nimmt die Veränderungsgeschwindigkeit rasant zu. In den ersten nahezu 20 Jahren des neuen Jahrhunderts gab es so viele technologische Veränderungen wie nie zuvor. Um in diesem dynamischen Umfeld wettbewerbsfähig bleiben zu können, setzen viele Unternehmen auf die Impulse eines unternehmensübergreifenden Innovationsmanagements. Häufig stehen sie dabei vor ähnlichen Herausforderungen, wie unsere langjährigen Projekterfahrungen zeigten.
Herausforderungen des Innovationsmanagements
- BEGRENZTE RESSOURCEN: Trotz mündlicher Zusagen ist es schwierig, Mitarbeiter und Budgets für Innovationsprojekte sicherzustellen. Der oftmals schwer messbare Output erschwert zusätzlich die Planung.
- KEINE STRATEGIE: Eine Innovationsstrategie sowie eine Roadmap sind nur rudimentär vorhanden, was dazu führt, dass Mitarbeiter „blind drauf loslegen“. Jeder macht das, was er für richtig hält.
- PROJEKTE VERLAUFEN IM SAND: Der zu einem Zeitpunkt bestehende Mehrwert von Innovationsprojekten kann nicht nachvollzogen werden, da die Projekte eine viel zu lange Laufzeit besitzen und die Planung über das Ergebnis gestellt wird.
- INNOVATION WIRD ZUM ZUFALL: Den Mitarbeitern fehlt es an klaren Strukturen und stabilen Rahmenbedingungen, um Innovationen erfolgreich zu generieren.
Um diese Herausforderungen erfolgreich zu meistern, sind aus unserer Sicht drei Schlüsselfaktoren essenziell bei der Konzeption von Innovationsmanagement-Systemen:

Im Folgenden werden diese drei Schlüsselfaktoren beschrieben und die Umsetzung anhand eines realen Fallbeispiels aufgezeigt. Herr Dr. Ottmar Pfänder, Leiter Unternehmensentwicklung bei MTU Aero Engines, beschreibt im Interview die Eigenschaften der „Innovation Engine“. Das neue Innovationsmanagement der MTU wurde mit Unterstützung von 3DSE entwickelt, aufgebaut und pilotiert und basiert im Kern auf den drei Schlüsselfaktoren.
3DSE: Herr Dr. Pfänder, was kann man unter der MTU Innovation Engine verstehen?
Dr. Pfänder: Die Innovation Engine stellt das neue, konzernübergreifende Innovationsmanagement-System der MTU dar. Sie unterstützt uns strategisch dabei, zielgerichtet Innovationen zu generieren. Dafür unterliegt die Innovation Engine – wie ein Motor – einem festen Prozess. Dieser besteht aus drei Phasen: Awareness, Ideation und Prototyping. In der Awareness-Phase werden relevante Trends und radikale Ideen von außen frühzeitig erkannt und aufgenommen. In der Ideation-Phase werden Ideen entweder über interne Ideation Challenges gesammelt oder in sogenannten Innovation Cells innerhalb von acht Tagen erarbeitet. In der Prototyping-Phase werden dann auf Basis ausgewählter Handlungsoptionen Mock-ups und Demonstratoren entwickelt. Die Innovation Engine wird von einem „Inno Team“ betrieben. Dieses sorgt dafür, den Motor im Takt zu halten, die richtigen internen Disziplinen zusammenzubringen, die interne und externe Zusammenarbeit zu fördern und in Summe die Innovationskultur im Unternehmen zu stärken.

Fokus
Innovation wird oftmals mit unbegrenzter Freiheit in Verbindung gebracht. Diese Freiheit sollte nicht eingeschränkt werden – zumindest was den Fluss von Ideen und Austausch angeht. Dennoch stehen auch für Innovationsprojekte begrenzte Ressourcen zur Verfügung. Eine Fokussierung auf die für den Handlungsbedarf vielversprechendsten strategischen Themenfelder ist daher unerlässlich. Durch einen klaren Fokus können die finanziellen und personellen Ressourcen einfacher gebündelt und auf die priorisierten Themenfelder gelenkt werden. Im Gegensatz zum Gießkannenprinzip, bei dem die vorhandenen Ressourcen ohne jegliche strategische Ausrichtung maximal gestreut werden, erhalten so aussichtsreiche Themenfelder die Chance, mit einem Grundstock an zugesicherten Ressourcen einen Erfolg zu generieren. Innerhalb der definierten strategischen Fokusfelder, kann dann mit unbegrenztem Horizont nach Innovationspotenzialen gesucht werden.
3DSE: Herr Dr. Pfänder, wie funktioniert eine Fokussierung in der MTU Innovation Engine? Nach welchen Kriterien wird dabei der Fokus festgelegt?
Dr. Pfänder: In der Scouting-Phase, dem ersten Teil der Awareness-Phase, werden von internen und externen Scouts kontinuierlich eine Vielzahl von Impulsen gesammelt und das Potenzial für die MTU bewertet. Impulse können externe Technologien, neue Start-ups oder auch interne Handlungsbedarfe und Ideen sein. Hier definieren wir bewusst noch keinen Fokus. Im Rahmen eines „Scouting Reviews“ diskutieren wir die Impulse und entscheiden uns anhand definierter Kriterien für einige wenige Themenfelder, die intensiver beleuchtet werden. Dies erfolgt in der Orientierungsphase, dem zweiten Teil der Awareness-Phase. Die Phase endet mit einem Gate, an dem wir uns auf ein bis zwei Themenfelder festlegen, für die wir zu dem Zeitpunkt das größte Potenzial sehen. Wir nennen sie „Innovationsfelder“. Kriterien für die Auswahl sind zum Beispiel, ob wir mit diesem Thema ein Kundenbedürfnis bedienen, ob wir darin ein wirtschaftliches Potenzial sehen und ob es strategisch zur MTU passt. Dabei achten wir bewusst darauf, über die traditionell starke Technologieentwicklung bei MTU hinaus Prozess-, Businessmodell- und Dienstleistungsinnovationen zu fördern. Die Innovationsfelder fokussieren unser Vorgehen in den nächsten Phasen. Der klare Fokus ist uns sehr wichtig, da wir so unsere begrenzten personellen Kapazitäten für die vielversprechendsten Themen einsetzen können.
Schnelles Lernen
Die Phrase „fail fast“ haben viele schon oft genug gehört. Scheitern ist jedoch kein Selbstzweck. Warum scheitern, wenn man auch erfolgreich sein kann? Das eigentliche Prinzip dahinter ist es, sich ständig und iterativ zu verbessern. Dazu ist es notwendig, sich kontinuierlich zu hinterfragen, regelmäßig Usertests durchzuführen und Feedback einzuholen. Ziel ist nicht das Scheitern, sondern frühes und kontinuierliches Lernen, um in der gegebenen Zeit ein bestens validiertes Ergebnis zu erzielen. Somit bedeutet „fail fast“, Probleme frühzeitig zu erkennen, und „learn fast“, sie zu lösen bzw. damit umzugehen. Maßnahmen hierfür beginnen bereits im Kleinen: durch regelmäßige Feedbackrunden im Team, der Durchführung von Retrospektiven, schnellen Tests von Arbeitsergebnissen, durch den Aufbau von Netzwerken sowie durch mehr Interaktion und größere Transparenz. Gesammelte Erfahrungen müssen dabei zeitnah im Team verteilt werden, um damit das Team als Ganzes schnell und bestmöglich an Erkenntnissen teilhaben zu lassen. Auch auf Prozess- und Strategieebene ist es notwendig, schnelles Lernen zu ermöglichen. Der Innovationsprozess sollte hierfür angepasst sein und kurze Iterationen vorsehen. Iteratives Lernen und Verbessern ist wichtiger als Perfektion. Dies erfordert die Etablierung eines passenden Mindsets, in dem auch kritische Ergebnisse offen kommuniziert werden können und der Anspruch eines Ergebnisses nicht die Perfektion ist, sondern die ausreichende Qualität, um benötigtes Feedback einholen zu können. Ziel ist die kontinuierliche Verbesserung.
3DSE: Herr Dr. Pfänder, welche Rahmenbedingungen schafft die MTU Innovation Engine, um schnelles Lernen zu ermöglichen?
Dr. Pfänder: Schnelles Lernen wird im Rahmen der Innovation Engine über mehrere Maßnahmen sichergestellt. Zum einen ist die Innovation Engine als Stage-Gate-Prozess konzipiert. An jedem der Gates werden die aktuellen Ergebnisse bewertet und eine Entscheidung getroffen, welche davon weiterverfolgt werden sollen. Bei gegebenem Budget kommen im besten Fall alle Konzepte in die nächste Phase. Es kann jedoch auch sein, dass aufgrund von Erkenntnissen Ziele angepasst werden müssen oder kein Konzept weiterverfolgt wird. In der Prototyping-Phase beispielsweise, durchlaufen die Handlungsoptionen eine 6-wöchige Mockup-Phase. An deren Ende wird die Entscheidung getroffen, welche der Konzepte Budget und Kapazitäten für eine bis zu 6-monatige Demonstrator-Phase bekommen. Auch die zeitliche Begrenzung aller Phasen unterstützt den Ansatz des schnellen Lernens. Zum anderen werden auch innerhalb der Phasen Methoden gewählt, die das Arbeiten in iterativen Zyklen sowie kontinuierliches Lernen gewährleisten. Dazu zählen agile Methoden wie Scrum oder auch Design Thinking. Es kann auch vorkommen, dass sich das Ergebnis am Ende deutlich von den initialen Zielen unterscheidet. Durch die regelmäßige Einbindung und Abstimmung mit internen und externen Kunden ist dies aber vollkommen in Ordnung, bzw. sogar erwünscht.
Rhythmus
So wie es Rhythmen in der Natur und in der Musik gibt, sind sie auch in fast jedem Unternehmen ein fester Bestandteil, selbst wenn man sich dessen oft nicht bewusst ist. Wenn man einen Rhythmus für Innovationen findet und diesen im Unternehmen ausstrahlt, kann man beobachten, wie sich Mitarbeiter bald davon leiten lassen oder sich anschließen. Rhythmus kann als Gestaltungselement betrachtet werden, um in Organisationen Struktur, Bedeutung und Impulse zu vermitteln. Durch das Einhalten eines festen Takts wird unnötiger Perfektionismus vermieden und durch das bewusste Setzen von Betonungen kann wichtigen Aufgaben die notwendige Beachtung geschenkt werden. Mithilfe von Rhythmen lassen sich Routinen verändern, trainieren und neue Gewohnheiten schaffen. Somit kann Rhythmus helfen, Innovationen planbarer zu machen oder sogar zur guten Gewohnheit werden zu lassen.
3DSE: Wie unterstützen Rhythmen die MTU Innovation Engine und was erhoffen Sie sich davon?
Dr. Pfänder: Das ist einfach zu beantworten: Stellen Sie sich die MTU Innovation Engine wie einen Motor vor. Sie ist so konzipiert, dass die drei Phasen den Takten des Motors entsprechen. Der gesamte Durchlauf aller drei Phasen dauert 12 Monate. Jedes halbe Jahr wird der Prozess neu gestartet. Auch die dazugehörigen Innovationsevents unterliegen einer festen Taktung. Die Termine sind allen Mitarbeitern bekannt, da sie sich nicht ändern und offen über einen „Innovationskalender“ kommuniziert werden. Das bringt Transparenz und Struktur in den Innovationsprozess. Jeder kann sich darauf einstellen. Ich denke, dass es für jedes große Unternehmen eine Herausforderung ist, etablierte Routinen zu durchbrechen und neue Verhaltensmuster einzuführen. Genau dabei soll uns die Innovation Engine unterstützen. Durch die Einführung dieses Rhythmus wollen wir dem Thema Innovation die notwendige Aufmerksamkeit schenken und es damit Schritt für Schritt zur Gewohnheit werden lassen. Innovation wird dadurch bewusst gefördert. Sie ist das Ergebnis eines kontinuierlichen und getakteten Engagements. Uns ist bewusst, dass das nicht von heute auf morgen passieren kann. Aber wir sind zuversichtlich, dieses Ziel langfristig mit der Innovation Engine zu erreichen.
Summary
Bei der Umsetzung von Innovationsmanagement-Systemen stehen viele Unternehmen vor ähnlichen Herausforderungen. Dazu zählen begrenzte Ressourcen oder eine unzureichende strategische Ausrichtung. Innovation wird dadurch zum Zufall. Um das zu vermeiden und sicherzustellen, dass ein unternehmensübergreifendes Innovationsmanagement seine Wirkung entfaltet, empfehlen wir Unternehmen, sich auf drei Schlüsselfaktoren zu konzentrieren: FOKUS, SCHNELLES LERNEN und RHYTHMUS. Dies bestätigen auch die Erfahrungen der MTU Innovation Engine, deren Konzeption und Aufbau die 3DSE begleitete.
Über Dr. Ottmar Pfänder

Der promovierte Betriebswirt ist 1999 bei MTU eingetreten und hat diverse Führungsaufgaben in den Bereichen IT, Produktion, Triebwerksinstandsetzung und Programmmanagement verantwortet. Er leitet seit 2015 die Unternehmensentwicklung mit den Bereichen Strategie, Marktanalyse, Business Development und M&A
Über MTU Aero Engines
Die MTU Aero Engines AG ist Deutschlands führender Triebwerkshersteller. Die Kernkompetenzen der MTU liegen bei Niederdruckturbinen, Hochdruckverdichtern, Turbinenzwischengehäusen sowie Herstell- und Reparaturverfahren. Im zivilen Neugeschäft spielt das Unternehmen eine Schlüsselrolle mit der Entwicklung, Fertigung und dem Vertrieb von Hightech-Komponenten im Rahmen internationaler Partnerschaften. MTU-Bauteile kommen bei einem Drittel der weltweiten Verkehrsflugzeuge zum Einsatz. Im Bereich der zivilen Instandhaltung zählt das Unternehmen zu den Top 5 der weltweiten Dienstleister für Luftfahrtantriebe und Industriegasturbinen. Die Aktivitäten sind unter dem Dach der MTU Maintenance zusammengefasst. Auf dem militärischen Gebiet ist die MTU Aero Engines der Systempartner für fast alle Luftfahrtantriebe der Bund
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Autor

Philip Kloibhofer
Philip Kloibhofer war Manager bei 3DSE Management Consultants GmbH in München. Mit über 8 Jahren Erfahrung in der F&E-Beratung von Technologieunternehmen besitzt er exzellente Branchenkenntnisse u. a. in Automotive, Transportation und Aerospace. Seine Kernkompetenzen sind die ganzheitliche Optimierung der F&E, das Management und die Umsetzung von Innovationen sowie die agile Produktentwicklung. Seine Qualifikationen als Scrum Master, Innovation Cell® GreenBelt und Design Thinking Coach runden sein Profil ab.